Kanis-Fluch

Ein sagenumwobener Berg im Bregenzerwald lässt die Wogen hochgehen. Riesen, Geister, verwünschte Männlein: Die mächtige Kanisfluh (2044 Meter) beflügelte schon immer die Fantasie. Heute geht es um Kies. Kanisfluh: Naturjuwel oder Kiesabbau? Der Konflikt liegt schon länger in der Luft, seine Zuspitzung ist nicht dem oft herbeigeschriebenen Sommerloch geschuldet, sondern weil die Gegner des Projekts hör-, spür- und fühlbarer auf die Barrikaden gehen.

Die Vorarlberger Öffentlichkeit kennt inzwischen das Grundmuster des Konflikts. Wieder ist es ein Konflikt, bei dem die Frage nach der Legitimation eines Eingriffs in unsere Natur im Mittelpunkt steht. So war es bei der umstrittenen Verbindung Mellau–Damüls. So war es bei der Diskussion um die neue Großbäckerei des Meisterbäckers Ölz in Weiler. Und so ist es auch jetzt. Der Konflikt im hinteren Bregenzerwald folgt denselben Gesetzmäßigkeiten wie die Diskussion um die Erweiterung des Meisterbäckers Ölz im Rheintal. Zwar ist der Fall Ölz nun praktisch vom Tisch, weil mit der bisherigen Standortstadt Dornbirn eine Einigung erzielt werden konnte, doch die Grundfrage ist nicht ausdiskutiert. Die Thematik wird, da die Wirtschaft Fahrt aufnimmt, noch an vielen Standorten aufpoppen. Wie viel Natur? Wie viel Wirtschaft? Und wie sind die Interessen in Einklang zu bringen?

Nahezu alle stimmen damit überein, dass die Idee des lokalen Bauunternehmens Rüf, Kies in der Region abzubauen (und nicht mit langen Lkw-Fahrten herzukarren), eine gute ist. Und alle wissen, dass es notwendig ist. Nun kommt aber ins Spiel, dass die Kanisfluh nicht irgendein Berg ist, sondern ein über die Landesgrenzen hinaus bekanntes Massiv; der wohl bekannteste Gipfel im Bregenzerwald.

Wo (und wie viel) darf in Vorarlberg verdichtet, verbreitert, vertieft, erschlossen und verbunden werden? Wo positioniert sich die Landesregierung im Spannungsverhältnis zwischen Natur, Tourismus und Wirtschaft? Die Menschen in Vorarlberg dürfen sich zu Recht politische Antworten darauf erwarten. Sich hinter Verfahren zu verstecken, mag für den Bearbeiter des Einzelfalls logisch erscheinen. Die Bürger wüssten aber generell gerne, wer wie viel Rückendeckung genießt, wie viel Naturschutz, wie viel Wirtschaftsfreundlichkeit tatsächlich in der schwarz-grünen Regierung steckt.

Gerold Riedmann
Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten

Quelle

VN Bericht